„Die Ukraine nicht allein lassen“
Obwohl offiziell Waffenruhe gilt, herrschen im Osten der Ukraine Chaos und Gewalt. Bischof Stephan Ackermann ist Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, einer Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, zur Förderung von Entwicklung und Frieden.
Aktualisiert: 15.09.2023
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Für den Bischof ist klar, dass es einen langen Atem und viel Geduld braucht, bis der Konflikt im Land überwunden ist, erzählt er im Interview.
Frage: Herr Bischof, in Sachen Krieg in der Ukraine haben sich die deutschen Bischöfe reichlich bedeckt gehalten. Warum?
Ackermann: Ich glaube nicht, dass man unsere Position richtig wiedergibt mit „bedeckt halten“. Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat sich im März 2013 während der Krim-Krise sehr klar positioniert. Darüber hinaus stehen wir in gutem Kontakt mit unseren Schwesterkirchen in der Ukraine. Ich selbst hatte die Gelegenheit, im Spätsommer letzten Jahres die Synode der griechisch-katholischen Kirche besuchen zu können. Bei der Gedenkveranstaltung der Bischofskonferenz aus Anlass des 25. Jahrestags des Mauerfalls waren Bischof Gudziak und Professor Marynovych aus der Ukraine eingeladen, mit uns die gegenwärtigen Herausforderungen zu diskutieren. Richtig ist, dass wir nicht jede Woche eine Erklärung verabschieden, sondern derzeit vielmehr darauf setzen, in engem solidarischen Kontakt mit unseren Partnern nach Möglichkeiten zu suchen, konstruktive Beiträge zu leisten.
Frage: Halten Sie eine politisch-diplomatische Lösung des Konflikts für möglich?
Ackermann: Natürlich ist eine solche Lösung möglich. Die Frage ist vielmehr, welche Lösung konkret gemeint ist und in welchem Zeithorizont wir von Lösung sprechen. Ein Schweigen der Waffen ist bestenfalls der Beginn eines Lösungsweges. Klar ist, je länger es Gewalt gibt , desto zerstörerischer wird sie sich auf die Verhältnisse in der Ukraine und auf die internationalen Beziehungen auswirken. Von daher ist das Eindämmen der Gewalt eine notwendige erste Bedingung. Doch sollten wir uns darauf einstellen, dass wir uns wahrscheinlich einer sehr langen Auseinandersetzung mit Russland gegenüber sehen. In dieser Auseinandersetzung dürfen wir die Ukraine nicht alleine lassen. Russland gegenüber brauchen wir eine klare Politik, die sowohl eine Rückkehr zu den Grundlagen des internationalen Rechts als auch Angebote zur langfristigen Kooperation enthält - so wie die Bundesregierung es mit großem Engagement betreibt.
Frage: Es gab und gibt – wenn auch sehr umstritten – von westlicher Seite Überlegungen, die Ukraine unter Umständen mittels Lieferung sogenannter Defensivwaffen zu unterstützen. Was halten Sie davon?
Ackermann: Zuerst einmal ist festzustellen, dass die Ukraine das legitime Recht hat, sich gegen die offensichtliche Aggression von Russland aus zu verteidigen. Daher ist es auch legitim zu diskutieren, ob man die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt.
„Jeder Schritt in diesem Gelände muss zum Ziel haben, die Gewalt und die Aggression einzudämmen.“
Allerdings benötigt man selbst für den Fall, dass man zu der Auffassung gelangt, die Ukraine militärisch unterstützen zu müssen, einen politischen Plan. Jeder Schritt in diesem Gelände muss zum Ziel haben, die Gewalt und die Aggression einzudämmen.
Frage: Die kirchliche Situation in der Ukraine ist, gelinde gesagt, kompliziert. Da ist die eher prorussische ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, da ist die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats, da sind die mit Rom unierte griechisch-katholische Kirche, die lateinische Kirche und die ukrainische autokephale orthodoxe Kirche. Den Mitgliedern all dieser Kirchen ist gemein: sie sind Christen. Aber wo stehen sie in dem Konflikt?
Ackermann: Die kirchliche Lage in der Ukraine ist in der Tat komplex und hat eine lange Geschichte. So wie ich die Dinge wahrnehme, steht gerade die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats derzeit vor einer ernsten Zerreißprobe. Ganz offensichtlich berührt der Krieg die Menschen in der Ukraine tief. Dabei kommen viele Erinnerungen an andere Gewalterfahrungen hoch. Insgesamt ergibt sich das Bild, dass der Krieg eine deutliche Mehrheit der Ukrainer unterschiedlicher Herkunft eint, und dass zum anderen die Frage nach dem Verhältnis zu Russland, das traditionell für die Ukraine und besonders für die Orthodoxie eine herausgehobene Rolle spielt, in neuer Radikalität aufgeworfen ist. Dass ein solcher Orientierungsprozess unter Schmerzen verläuft, ist nur verständlich.
Frage: Wie auch immer die Sache in der Ukraine ausgeht: Wird es nicht eines sicherlich langwierigen Kulturdialogs bedürfen zwischen dem, was oft die „russische Seele“ genannt wird, und dem Westen, damit es wirklich Frieden in Europa gibt?
Ackermann: Mal abgesehen davon, dass mir der pathosgeladene Begriff der „russischen Seele“ nicht gefällt, da er Russland auf eine spezifische Position festlegt, was der Vielschichtigkeit der russischen Gesellschaft nicht gerecht wird, bin ich fest davon überzeugt, dass wir mit Geduld und langem Atem den Dialog zwischen den verschiedenen europäischen Perspektiven und Russland vertiefen müssen. Ich bin auch etwas skeptisch, wenn vereinfachend von „dem Westen“ die Rede ist, der in Wahrheit auch eine spannungsreiche Vielfalt aufweist. Hier müssen wir die Erfahrungen der baltischen Länder ebenso einbeziehen wie die Polens, der Ukraine, Frankreichs, Spaniens und Deutschlands. Dieser innereuropäische Dialog ist umso wichtiger, als er die Voraussetzung dafür ist, dass wir eine langfristig belastbare konstruktive Politik mit und wenn es sein muss gegenüber Russland entwickeln können.
Frage: Herr Bischof, Ihr Bistum Trier ist der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine eng verbunden. Was hören Sie von dort?
Ackermann: Unsere Caritas steht in regelmäßigem Kontakt mit den Partnern in der Ukraine. Das sind die Caritas in Ivano-Frankivsk in der Westukraine und die Stiftung Boden in Konotop in der Ostukraine. Die Partner versorgen die Flüchtlinge und zum Teil auch die Soldaten mit Lebensmitteln, Medikamenten, warmer Kleidung und Decken. Auch psychologische Hilfe wird geleistet, soweit die personellen Möglichkeiten gegeben sind. Aktuell wird überlegt, ob wir ein gemeinsames Projekt zur Bewältigung der Kriegstraumata aufbauen können. Ein großes Problem, so sagen uns die Partner, ist die Versorgung der chronisch Kranken mit Medikamenten, da die Preise bis auf das Dreifache gestiegen sind und weder die Betroffenen noch unsere Partner die dazu nötigen Mittel haben.
Das Interview führte Peter de Groot (KNA)
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