
Leben nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms
Afanassjewka ‐ Im Juni 2023 explodierte die Kachowka-Stauanlage am Dnipro; vermutlich eine Aktion des russischen Militärs. Weite Teile der Region versanken im Wasser. Und die Schäden der Katastrophe wirken bis heute nach.
Aktualisiert: 29.07.2025
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Tetjana Fomina steht im Hof ihres kleinen Häuschens im 700-Einwohner-Dorf Afanassjewka, gerade mal 40 Kilometer von der ukrainischen Großstadt Cherson entfernt. Die 49-jährige medizinische Helferin weiß, wie gefährlich das Leben in Cherson ist. Dort setzen die Russen täglich FPV-Drohnen ein. Damit kann der Bediener vom Arbeitsplatz aus genau beobachten, wo sich die Drohne befindet, und auf die Jagd nach Opfern gehen. Das passiert täglich in Cherson. „Wir hier in Afanassjewka haben Glück“, meint Tetjana. „Unser Dorf ist in dreieinhalb Jahren Krieg noch kein einziges Mal angegriffen worden.“
Afanassjewka liegt in einem kleinen Tal der Südukraine. Militärisch gesehen kein strategisch interessanter Ort. Eher eine potenzielle Falle, aus der es im Ernstfall kein Entkommen gibt. Denn der Ort ist praktisch eine Insel. Auf der einen Seite fließt der Fluss Inhulez; der Rest ist von kleinen Seen umgeben. Direkt an einem dieser kleinen Seen steht Tetjanas Haus. „Aber genau weil wir weder für die ukrainische Armee noch die russische Armee interessant sind, sind wir bisher noch nie beschossen worden“, sagt sie.
Doch Tetjana hat ein anderes Problem. Vor zwei Jahren, im Juni 2023, explodierte die Kachowka-Stauanlage, das tiefste von drei Stauwerken des Flusses Dnepr; wohl eine russische Kriegshandlung. „Als ich von der Zerstörung des Staudamms hörte, habe ich zunächst einen Schrecken bekommen. So eine schlimme Katastrophe.“ Doch dann habe sie gedacht, dass ihr kleines Dorf ja wohl kaum davon betroffen sein könne. Afanassjewka sei schließlich 100 Kilometer vom Staudamm entfernt.
Doch sie irrte sich. Die Wassermassen des Dnepr bahnten sich über den Fluss Inhulez ihren Weg bis nach Afanassjewka. Einen Tag später um 17.00 Uhr waren die Dämme des Dorfes unter Wasser – und zwei Stunden später ihr Haus. „Sehen Sie, wo ich jetzt stehe?“, fragt sie und hält die Hand über ihren Kopf: „Bis hierhin stand das Wasser im Juni 2023.“
Tetjana Fomina hatte ihre Sachen schon gepackt – und konnte zunächst bei einer Nachbarin unterkommen, die 50 Meter weiter und fünf Meter höher lebt. „Es ist ein Jammer“, sagt sie. Noch ein paar Wochen vor der Wasserkatastrophe hatte sie die Renovierung ihres Hauses abgeschlossen. Zwei Wochen war Afanassjewka von der Außenwelt isoliert. Versorgt werden konnte die Bevölkerung nur auf dem Luftweg und mit Booten.
Sogar die Journalistengewerkschaft unterstützt
Tetjana musste nun einige Wochen bei Verwandten leben. Dorfvorsteher Wasili Chomko hat die Zahlen im Kopf. „Von 220 Häusern wurden 75 mehr oder weniger stark zerstört.“ Doch man halte zusammen. „Fast jeder konnte bei einem Nachbarn oder einem Verwandten unterkommen.“ Und bald schon habe eine Kommission die Schäden dokumentiert und die Betroffenen entsprechend entschädigt, sagt Chomko der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
„Ich habe auch Geld bekommen“, bestätigt Tetjana Fomina. „Aber das war wirklich nicht ausreichend. Mein Schaden liegt bei ungefähr 25.000 Euro; tatsächlich habe ich aber 7.000 Euro erhalten. Ich musste Möbel wegwerfen, das Haus noch einmal komplett renovieren. Alle Gegenstände im Haus waren unbrauchbar geworden.“
Direkt am Haus ist ein Brunnen. „Der hatte mir immer genug Wasser für meinen Gemüsegarten gegeben.“ Doch nun sei daraus nur noch wenig Wasser zu holen, klagt sie. „Deshalb sind meine Tomaten nur noch klein und schmecken nicht mehr so gut wie früher.“ Ihren Garten braucht sie, denn im Geschäft kostet ein Kilo Tomaten drei Euro – viel Geld bei einem Gehalt von 300 Euro.
Und so ist sie auch auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die kommt an diesem Tag von zwei Journalisten: Juri Robotin, Chef der Journalistengewerkschaft des Gebietes Odessa, und Ihor Nowikow, Chefredakteur der Zeitung der Nachbarortschaft, haben medizinische Einwegartikel, Desinfektionsmittel, Verbandsmaterial, aber auch Lebensmittel nach Afanassjewka mitgebracht. Für Tetjana Fomina und die medizinische Ambulanz, in der sie arbeitet.
„Wir Journalisten können nicht einfach nur über die Not der Menschen berichten“, sagt Juri Robotin. „Wir sehen uns in der Pflicht, den Menschen, über die wir berichten, auch zu helfen, im Rahmen unserer Möglichkeiten.“
Tetjana will in Afanassjewka bleiben. „Warum sollte ich wegziehen? Ich kann mir keinen besseren Ort zum Leben vorstellen“, sagt sie zum Abschied und lacht.

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