Klaus Krämer, Bischof von Rottenburg-Stuttgart
Flüchtlingskrise verschärft sich – Menschen ohne Hilfe des Staates

Bischof Krämer in Jordanien: „Ein Land am Ende seiner Möglichkeiten“

Amman/Stuttgart  ‐ „Seit 2019 hat man in Jordanien aufgehört, Flüchtlinge zu registrieren“, sagt Rottenburgs Bischof. Staatliche Unterstützung gebe es für diese Menschen nicht, die Caritas sei oft die einzige Hilfe. Eine Bilanz der Reise.

Erstellt: 02.09.2025
Aktualisiert: 02.09.2025
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Von Norbert Demuth (KNA)

Der Rottenburger Bischof Klaus Krämer hat von Mittwoch bis Montag (1. September) Jordanien besucht. Vor seinem Abflug zog er eine Bilanz seiner ersten Pastoralreise, bei der er sich unter anderem in einem Caritas Zentrum für Geflüchtete in Jordaniens Hauptstadt Amman informierte. Das Telefoninterview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Stuttgart führte Krämer von jener Stätte am Ostufer des Jordan aus, die als Taufstelle Jesu verehrt wird.

Frage: Herr Bischof, welche Erkenntnisse nehmen Sie aus Jordanien mit?

Bischof Klaus Krämer: Ich habe die schwierige Situation von Flüchtlingen in Jordanien kennengelernt – vor allem von jenen, die nicht registriert sind. Seit 2019 hat man in Jordanien damit aufgehört, Flüchtlinge zu registrieren. Das heißt: Diese Menschen bekommen keinerlei Unterstützung aus staatlichen Sozialsystemen. Sie dürfen nicht arbeiten und haben keinen Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung. Ihre Kinder können nur unter sehr erschwerten Bedingungen am Schulunterricht teilnehmen. Da entsteht ein Teufelskreis der Armut.

Frage: Woher kommen diese Menschen?

Krämer: Das betrifft vor allem Flüchtlinge aus dem Irak und dem Sudan. Sie leben weit unter der Armutsgrenze und sind dringend auf Hilfe von Nichtregierungsorganisationen angewiesen. Gerade mit den Programmen der Caritas, die von uns unterstützt werden, können viele Menschen erreicht werden, die sonst mittellos und hilflos dastünden.

Frage: Was war Ihr bewegendstes Erlebnis in Jordanien?

Krämer: In einem Caritas-Zentrum haben wir Flüchtlinge aus diesen beiden Ländern getroffen und wir haben Flüchtlingsfamilien in ihren beengten Wohnungen in Amman besucht. Das Berührendste war für mich, wie schnell Tränen flossen, als sie ihre Situation beschrieben haben. Sie stehen am untersten Rand der Gesellschaft. Andererseits ist die Caritas der einzige Ort in dieser gesellschaftlichen Isolation, an dem sie überhaupt fachkundige Unterstützung und medizinische Versorgung erhalten.

Frage: In Jordanien sind aktuell rund 1,8 Millionen Geflüchtete registriert – die meisten davon sind Palästinenser und Syrer, gefolgt von Menschen aus dem Irak, heißt es in einer Mitteilung zur Reise. Das Problem ist also riesig.

Krämer: Da die jordanische Regierung im März 2019 die Registrierung der Geflüchteten durch die UN untersagt hat, ist die Dunkelziffer der Geflüchteten wohl noch deutlich höher. Jordanien ist jedenfalls nach dem Libanon weltweit das Land mit der zweitgrößten Aufnahme von Flüchtlingen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Wir haben selber gesehen, dass das Land da am Ende seiner Möglichkeiten ist. Dass viele Flüchtlinge schon gar nicht mehr versorgt werden können, ignoriert werden von staatlichen Systemen und auf freie Träger wie die Caritas angewiesen sind. Man spürt den großen Druck auf das Land.

Frage: Warum sind Sie ausgerechnet nach Jordanien gereist?

Krämer: Ich wollte mir ein eigenes Bild machen, auch weil Jordanien einer der Schwerpunkte der Flüchtlingsarbeit unserer Diözese im Nahen Osten ist – 550.000 Euro gingen von Rottenburg-Stuttgart 2024 nach Jordanien. Durch den Gaza-Krieg und den Machtwechsel in Syrien ist die Region ein Brennpunkt im Kontext von Flucht und Vertreibung.

„Es ist beeindruckend, wie offen die Kirche in Jordanien für alle gesellschaftlichen Gruppen ist“

—  Zitat: Klaus Krämer, Bischof der Diözese Rottenburg Stuttgart

Frage: Welche Auswirkungen hat der Gaza-Krieg auf Jordanien?

Krämer: Der Gaza-Krieg ist hier omnipräsent und schwebt tagtäglich wie ein Damoklesschwert über dem Land. Der Großteil der jordanischen Bevölkerung ist palästinensischen Ursprungs – viele haben Verwandte oder Freunde im Gazastreifen oder dem Westjordanland.

Frage: Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte heute vor zehn Jahren – am 31. August 2015 – angesichts der damaligen Flüchtlingskrise ihren berühmt gewordenen Satz „Wir schaffen das!“. Wie sehen Sie die Lage in Deutschland?

Krämer: Es wäre schön, wenn wir das geschafft hätten nach zehn Jahren! Aber die Welt ist so, dass das Problem andauert und wir deshalb das tun müssen, was uns möglich ist. Dies haben wir in der Diözese Rottenburg-Stuttgart auch in unserer jüngsten Neupositionierung zum Thema Flucht und Migration deutlich zum Ausdruck gebracht.

Frage: Also ein: „Wir müssen das dauerhaft schaffen“?

Krämer: Jedenfalls kann man das Kapitel der Aufnahme von Flüchtlingen nicht einfach abschließen. Wir müssen in Deutschland auch die globalen Dimensionen des Problems sehen: Dass die Flüchtlingssituation in anderen Regionen der Welt um ein Vielfaches größer ist, als wir das in Europa und in Deutschland erleben.

Frage: Sie befinden sich gerade in einer Pilgerherberge an der – als Taufstelle Jesu verehrten – Stätte „Al-Maghtas“ am Ostufer des Jordan. Laut den Evangelien wurde Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens von Johannes dem Täufer im Jordan getauft. Wie ist das für Sie als katholischer Bischof, dort zu stehen?

Krämer: Das Gute am christlichen Glauben ist ja, dass man ihn weltweit leben und erfahren kann. Gleichwohl ist es sehr berührend, an Orten zu stehen, die uns auch historisch so eng in Verbindung bringen mit der Ursprungsgeschichte. Dem Geist eines solchen Ortes kann man sich nicht entziehen, das ist eine spirituell bewegende Erfahrung – für mich wie auch für viele Pilger. Man spürt: Die Gemeinschaft der Christen hat eine einzigartige Grundlage in der biblischen Geschichte, die hier verdichtet erfahrbar wird. Und dieser Ort hier in Jordanien ist nicht nur die Taufstätte Jesu, sondern auch der Ort, an dem das Volk Israel ins Heilige Land, ins Land der Verheißung, eingezogen ist.

Frage: Was kann man von der heutigen Kirche in Jordanien lernen?

Krämer: Wir können lernen, wie man unter ganz schweren Bedingungen trotzdem als Kirche überlebt – Christen stellen hier nur etwa zwei Prozent der ganz überwiegend muslimischen Bevölkerung. Es ist beeindruckend, wie offen die Kirche in Jordanien für alle gesellschaftlichen Gruppen ist. Dass sie niemanden ausgrenzt und nicht nur für die eigene Klientel unterwegs ist. Das zeigt sich in der Caritasarbeit, aber auch in der Bildungsarbeit. Katholische Schulen mit ihrer werteorientierten Erziehung sind hier ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der gesamten Gesellschaft.

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