Zwischen Rotwein und Reformdruck: Moldau Weg in die EU
Chisinau ‐ EU statt Russland: Bei der Parlamentswahl haben die Menschen im ukrainischen Nachbarland Moldau für den Kurs Richtung EU votiert. Winzer und Weinhändler Ion Luca ist froh darüber - und hofft auf schnelle Fortschritte.
Aktualisiert: 21.10.2025
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Inmitten von Regalen mit Weinflaschen lehnt Ion Luca in seinem kleinen Laden an der Theke. Nur Weine aus seinem Heimatland, der Republik Moldau, verkauft er hier in seinem Geschäft in der Hauptstadt Chisinau. Weinbau hat eine lange Tradition in dem Land, das im Osten Europas zwischen Rumänien und der Ukraine liegt. Und: Er ist ein wichtiger Teil der Wirtschaft.
„Wir haben hier in der Republik Moldau mehr Anbaufläche für Weintrauben als Deutschland“, erklärt Luca. „Aber wir sind nur 2,5 Millionen Menschen, nicht 83 Millionen – wir müssen also exportieren“, fügt er grinsend hinzu. Und hört man Luca bei einem Glas Wein in gemütlicher Atmosphäre zu, wie er über Weine erzählt, durchläuft man beiläufig einen Crashkurs in Moldaus Geschichte und den Besonderheiten, die sich durch die Lage des Landes an der Schwelle zwischen westlicher und russischer Einflusszone ergeben.
Im 19. und 20. Jahrhundert wechselten sich Phasen russischer und rumänischer Vorherrschaft ab. Unabhängig ist das Land erst seit 1991, zunächst meist Moldawien genannt. Heute grenzt man sich als Republik Moldau von diesem sowjetisch geprägten Namen ab.
Die Bevölkerung des kleinen Landes ist sehr vielfältig: Muttersprache der meisten Menschen ist Rumänisch, andere sprechen in der Familie Russisch. Fast die Hälfte aller Moldauer besitzt auch eine rumänische Staatsbürgerschaft. Teile der Bevölkerung orientieren sich sehr Richtung Russland. Vor allem in zwei Regionen mit Unabhängigkeitsbestrebungen ist Moskaus Einfluss groß. Moldauerinnen und Moldauer besuchen unterschiedliche orthodoxe Kirchen, feiern an unterschiedlichen Tagen Weihnachten und Ostern. Außerdem leben im Land Minderheiten wie Gagausen, Ukrainer und Roma.
Kurzum: Was die nationale Identität ausmacht, ist schwer zu sagen. Und die Weltpolitik hat der jungen Nation zuletzt wenig Raum gelassen, sie zu finden. Seit der Vollinvasion Russlands in der Ukraine im Februar 2022 steht das zweitärmste Land Europas vor der Herausforderung, den eigenen Staat zu behaupten. In den Tagen nach dem russischen Angriff rechneten die Moldauerinnen und Moldauer mit einem Durchmarsch Russlands bis in ihre militärisch schwache Ex-Sowjetrepublik.
„Die Koffer für meine Frau und meine Kinder waren gepackt, sie sollten dann nach Rumänien fliehen“, sagt Luca. Er selbst sei zum Helfen an die ukrainische Grenze gefahren. „Da habe ich zugeschaut, wie Familien sich verabschiedeten. Die Väter in Uniform haben mir, einem wildfremden Mann, ihre Frauen und Kinder anvertraut. Und allen war klar, dass sie sich vielleicht nie wiedersehen würden.“ Luca brachte Mütter mit Kindern nach Chisinau, Geflüchtete wohnten erstmal in seinem Weinladen.
So wie er halfen viele Moldauerinnen und Moldauer – egal ob aus Städten oder vom Land, egal ob prorussisch oder prowestlich. Mehr als 750.000 Geflüchtete hat der Staat seit Kriegsbeginn aufgenommen. Und auch weiterhin ist die Solidarität mit der Ukraine groß, denn viele sehen in ihrem Nachbarn auch den Verteidiger von Moldaus Freiheit und Unabhängigkeit.
Steiniger Weg in die EU
„Ich möchte, dass meine Kinder in einem modernen Moldau leben und nicht in der Sowjetunion, die habe ich erlebt“, sagt Luca, dessen Familienweingut damals enteignet wurde. „Die Russen haben nun eben diesen Plan, alles, was mal Sowjetunion war, wieder unter ihren Einfluss zu bringen. Das wollen wir nicht.“ Luca spricht damit für viele, aber nicht für alle Moldauer.
Vor wenigen Wochen wählten die Menschen ein neues Parlament. Innenpolitische Fragen wie teure Mieten und Energiepreise dominierten den Wahlkampf wenig. Stattdessen war die Wahl eine Entscheidung über den Kurs der bisherigen Regierungspartei PAS, das Land weg von russischen Abhängigkeiten und in die Europäische Union zu führen. Das proeuropäische Lager gewann knapp wieder die absolute Mehrheit – trotz massiver russischer Desinformationskampagnen rund um die Wahl.
Prominente Unterstützung gab es durch den Besuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk am moldauischen Unabhängigkeitstag im August.
Nationalflagge der Republik Moldau an einem Turm in Chi?inau (Moldau).
Im Eiltempo haben sich Moldau und die EU seit dem Krieg aufeinanderzubewegt, die Beitrittsverhandlungen laufen seit vergangenem Jahr. Moldaus Pro-Europäer wollen bis 2028 all ihre Hausaufgaben für einen EU-Beitritt gemacht haben. Für Moldau ist das Interesse der Europäer für ihr Land seit Kriegsbeginn eine einmalige Chance. Dementsprechend forciert Präsidentin Maia Sandu den Beitritt.
Luca sieht in der EU einen riesigen Absatzmarkt. Viele Winzer aus Moldau hätten nach dem Ende der Sowjetunion erstmal vor allem weiter nach Russland verkauft, damit aber in den 2000er Jahren schlechte Erfahrungen gemacht. Er gestikuliert mit einer Flasche seines preisgekrönten Rotweins in der Hand. Die Winzer begannen, mehr zusammenzuarbeiten und mehr international um Kunden zu werben.
Schon jetzt verkauft Luca in EU-Länder. Wäre Moldau Teil der Union, gäbe es deutlich weniger Handelshindernisse, und Moldaus Wein wäre hierzulande günstiger zu kaufen. „Moldau muss in die EU. Ich hoffe sehr bald. Bei uns ist Krieg an der Grenze, wir müssen überleben und deswegen alles, was die EU von uns verlangt, ziemlich schnell machen.“ In einer Unternehmer-Initiative engagiert er sich für den Beitritt.
Auch wenn das prowestliche Lager die Parlamentswahl gewonnen hat, ist es bis zum Ziel des EU-Beitritts noch ein steiniger Weg. Die EU-Staaten müssen sich auch in ein paar Jahren noch einig sein, ihre Versprechen gegenüber Moldau zu halten. Und Moldaus Regierung muss Korruption bekämpfen, den Rechtsstaat reformieren und die abtrünnigen Regionen im Blick haben. Im Blick haben die politisch Verantwortlichen schon jetzt täglich zwei riesige Flaggen am Regierungsgebäude - eine europäische und eine moldauische. Davor bauen Luca und andere Winzer Zelte und eine Bühne auf - am ersten Oktoberwochenende wird der nationale Tag des Weines gefeiert. „Moldau ist wohl das einzige Land, in dem Wein einen Feiertag hat“, sagt Luca schmunzelnd.
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