Bundesministerin Reem Alabali Radovan schaut in die Kamera
Entwicklungsministerin Alabali Radovan über Krisen, AfD und Boxen

„Auch in schwierigen Zeiten halten wir Kurs“

Noch im März stand auf der Kippe, ob das Entwicklungsministerium ein eigenständiges Ressort bleibt. Doch Reem Alabali Radovan (SPD) startet als derzeit jüngste Ministerin voll durch. Heute ist sie in Äthiopien zu Besuch.

Erstellt: 10.12.2025
Aktualisiert: 10.12.2025
Lesedauer: 
Von Anna Mertens und Karin Wollschläger (KNA)

Das Berliner Büro der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Reem Alabali Radovan (SPD) ist weihnachtlich dekoriert. Es duftet nach Plätzchen und Punsch. Ein Paar rosafarbene Miniatur-Boxhandschuhe baumeln an der Schreibtischlampe. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht sie über die Neuausrichtung ihres Hauses, Folgen der Etatkürzungen, aktuelle Krisenherde, die AfD und ihr Hobby Boxen. An diesem Mittwoch ist sie in Addis Abeba in Äthiopien zum Antrittsbesuch bei der Afrikanischen Union. Geplant sind auch Gespräche mit der Zivilgesellschaft zur Lage im Sudan.

Frage: Frau Ministerin, wie haben Sie sich in Ihrem Amt eingelebt? Im März war nicht so klar, ob es das Entwicklungsministerium weiterhin geben würde.

Ministerin Reem Alabali Radovan: Es waren sieben intensive Monate – ein Start mit 1.000 Prozent. Die neue Bundesregierung musste gleich zwei Haushalte verabschieden und parallel mit großen internationalen Krisen umgehen, die wir auch hier direkt in Deutschland spüren. Das prägt natürlich den Einstieg.

Frage: Der Koalitionsvertrag richtet die deutsche Entwicklungszusammenarbeit neu aus. Nationale Eigeninteressen sollen stärker berücksichtigt werden. Muss werteorientierte Entwicklungsarbeit da Abstriche machen?

Radovan: Wertegeleitete und interessensorientierte Entwicklungszusammenarbeit schließen sich für mich nicht aus – wir müssen beides stärker miteinander verbinden. Viele Partnerländer erwarten das auch von uns und wundern sich, dass wir da bisher so zögerlich waren. Sie sind sehr interessiert an einer verstärkten Zusammenarbeit mit Deutschland. Ich bin überzeugt, dass das gelingen kann. Voraussetzung ist, dass beide Seiten offen und auf Augenhöhe über gemeinsame Interessen sprechen.

Frage: Der Haushalt Ihres Hauses wurde stark gekürzt. Das hat Konsequenzen. Der entwicklungspolitische Dachverband Venro wirft Deutschland vor, es komme seinen Verpflichtungen nicht mehr nach ...

Radovan: Natürlich sind die Kürzungen schmerzlich zu spüren. Doch das ist kein Grund für Resignation – wir schauen nach vorne. Wir konzentrieren uns darauf, was wir besonders gut können und bleiben verlässlich – das zeigen etwa unsere Zusagen an die Gavi-Impfallianz oder den Regenwaldschutz-Fonds. Auch in schwierigen Zeiten halten wir Kurs.

Frage: Das Budget schrumpft, aber die Bedarfe wachsen – durch zunehmende Krisenherde und den Rückzug großer Geberländer wie den USA. Was hat jetzt höchste Priorität bei der Mittelvergabe?

Radovan: Die großen humanitären Krisen haben jetzt Vorrang: der Wiederaufbau in der Ukraine und in Gaza, die Lage im Sudan und andere Regionen mit Hungersnot. Deshalb war es mir wichtig, trotz knapper Mittel das World Food Programme nochmals zu stärken.

„Die großen humanitären Krisen haben jetzt Vorrang: der Wiederaufbau in der Ukraine und in Gaza, die Lage im Sudan und andere Regionen mit Hungersnot“

—  Zitat: Reem Alabali Radovan, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Frage: Wie ist Ihr Austausch mit den Hilfsorganisationen?

Radovan: Das Engagement der Kirchen, der privaten Träger und der Zivilgesellschaft ist unverzichtbar. Ihre Arbeit ist oft der einzige Zugang zu Menschen in Not – besonders in autoritären Staaten. Deshalb war es eine bewusste Entscheidung, sie im Haushalt weniger stark zu kürzen als andere Bereiche. Das war mir sehr wichtig, denn ihre Nähe zu den Menschen ist von unschätzbarem Wert.

Frage: Sie sind viel mit Außenminister Johann Wadephul unterwegs. Was sind die Vorzüge des gemeinsamen Auftretens?

Radovan: Wir haben uns in der Koalition vorgenommen, die Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik enger miteinander zu verzahnen. Das funktioniert sehr gut – und das möchte ich ausdrücklich betonen. Mir ist wichtig, Entwicklungszusammenarbeit als festen Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik zu verstehen.

Frage: Es gibt aber auch die Sorge, dass Ihr Ressort in dieser 3er-Kombo zu kurz kommen könnte.

Radovan: Wir sind eine Bundesregierung, und natürlich gibt es unterschiedliche Perspektiven. Aber entscheidend ist, dass wir zusammenarbeiten und international geschlossen auftreten. Klar ist für mich: Das BMZ bleibt ein eigenständiges Ressort, das auch künftig weiter gebraucht wird – in Anbetracht der Krisen in der Welt mehr denn je.

„Wir haben uns in der Koalition vorgenommen, die Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik enger miteinander zu verzahnen.“

Frage: Korruption bis in höchste Regierungskreise der Ukraine sorgt für Schlagzeilen. Wie stellen Sie sicher, dass Gelder für den Wiederaufbau des Landes auch dort landen, wo sie hinsollen?

Radovan: Wir beobachten die Lage in der Ukraine sehr aufmerksam – ich war selbst im Oktober in Kiew. Die aktuellen Verdachtsfälle betreffen keine Gelder der Entwicklungszusammenarbeit. Gleichzeitig unterstützen wir die Ukraine dabei, Korruptionsprävention weiter zu stärken. Das ist ein wichtiger Teil unserer Partnerschaft.

Frage: Die AfD wirft der Bundesregierung immer wieder vor, dass deutsche Gelder im Ausland missbraucht werden.

Radovan: Diese Vorwürfe sind gezielte Desinformation. Tatsächlich sind Missbrauchsfälle absolut selten, denn wir haben strenge Kontrollmechanismen, bis hin zur Rückforderung von Mitteln. Ich verstehe aber, dass Menschen Fragen haben. Deswegen brauchen wir Aufklärung – und klare Strategien gegen Desinformation, die Vertrauen stören soll.

Frage: Entwicklungszusammenarbeit dient ja auch der Migrationssteuerung – damit müsste man doch bei AfD-Sympathisanten punkten können.

Radovan: Unsere Arbeit trägt ganz unmittelbar zu Frieden, Wohlstand und Stabilität bei – auch bei uns zu Hause. Als eine der größten Exportnationen der Welt ist Deutschland auf starke internationale Partnerschaften angewiesen – besonders im Globalen Süden. Das wird unsere Rolle in der Welt prägen. Davon bin ich überzeugt. Ein starkes Entwicklungsministerium ist dafür entscheidend.

„Die Situation im Sudan und an der Grenze zu Äthiopien macht mich sehr betroffen“

Frage: Sie brechen jetzt nach Äthiopien auf. Wie bewerten Sie die Lage vor Ort?

Radovan: Die Situation im Sudan und an der Grenze zu Äthiopien macht mich sehr betroffen. Es ist eine weitgehend vergessene Krise mit enormem humanitärem Leid. Da ist jede Unterstützung unsererseits wichtig. Äthiopien ist direkt betroffen und hat über 1,1 Millionen Geflüchtete aus Sudan, Südsudan, Somalia und Eritrea aufgenommen. Deutschland leistet hier Unterstützung zur Stabilisierung der Lage.

Frage: Ein Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hat uns gesagt, er wünsche sich, dass Deutschland im Sudan eine Vermittlerrolle übernimmt. Wie steht die Bundesregierung dazu?

Radovan: Der brutale Krieg ist verheerend für den Sudan und er destabilisiert auch die gesamte, fragile Region. Ich reise auch nach Äthiopien, um mich mit Vertretern der Afrikanischen Union darüber auszutauschen. Die AU ist entscheidender Akteur, um einen zivil geführten Übergangsprozesses im Sudan zu gestalten.

Frage: Die USA ziehen sich unter Präsident Donald Trump aus der Entwicklungszusammenarbeit zurück. Kommt dadurch Deutschland eine neue Rolle auf der internationalen Bühne zu?

Radovan: Ja, die Erwartungen an Deutschland steigen – und wir nehmen diese Verantwortung sehr ernst. Um den Austausch und Partnerschaften mit Ländern des Globalen Südens deutlich zu stärken und zu vertiefen, richten wir zum Beispiel auch eine entwicklungspolitische Nord-Süd-Kommission ein.

Frage: Ihr Hobby ist Boxen. Welche Box-Eigenschaften sind auch für Ihren Job als Entwicklungsministerin wichtig?

Radovan: Beim Boxen lernt man, Rückschläge auszuhalten, Ausdauer und immer wieder aufzustehen. Und man merkt schnell: Erfolg besteht nicht darin, ständig auszuteilen, sondern im richtigen Moment beherzt zu handeln.

Mehr zum Thema