
Schwester Lorena rettet Frauen vor der Hexenverfolgung
Köln ‐ In 46 Ländern der Welt werden noch heute Menschen als Hexen verfolgt und getötet. Die Schweizer Schwester Lorena Jenal setzt sich in Papua-Neuginea für Opfer des Hexenwahns ein – in jüngster Zeit wurden es immer mehr.
Aktualisiert: 24.09.2025
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Als Männer in einem Dorf im Hochland von Neuguinea eine angebliche Hexe foltern wollten, hat sich Schwester Lorena Jenal als Opfer angeboten. „Ich habe ihnen gesagt, meinen Körper könnt ihr töten, aber mein Geist wird euch jede Nacht wachhalten.“ Eigentlich wolle sie nicht drohen, aber in dieser Situation habe sie sich nicht anders zu helfen gewusst. Die Gemeinschaft gab die Frau frei, die sie als Hexe verfolgt hatte. „Seit drei Jahren ist in dem Dorf nichts mehr passiert“, berichtet die Schweizer Ordensschwester.
Schwester Lorena lebt seit mehr als 40 Jahren in Papua-Neuginea; vor kurzem war sie in Deutschland zu Besuch, um von ihrer Arbeit in dem Inselstaat zu berichten. Die 75-Jährige kümmert sich seit 2012 vor allem um die, die dort als Hexen verfolgt und gefoltert werden – überwiegend sind es Frauen, „starke Frauen“, sagt die Ordensschwester. 352 Leben hat sie seitdem gerettet.
„Wenn jemand unerwartet stirbt oder ein Familienstreit ausbricht, kann das ein Grund sein, eine Frau als Hexe zu beschuldigen“, erklärt die Expertin in Köln. „Sie sind Sündenböcke oder waren zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Kurz zuvor hat Schwester Lorena der Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) von ihrem Engagement berichtet, das von dem katholischen Hilfswerk Missio Aachen unterstützt wird. Auch in Köln wurden Hexen verfolgt und verbrannt – allerdings vor Jahrhunderten.
Schwester Lorena zufolge hat es in den vergangenen Monaten eine regelrechte Gewaltwelle im Hochland Papua-Neugineas gegeben. Allein seit Januar dieses Jahres seien 52 Menschen als Hexen gefoltert worden, erstmals darunter: zehn Männer.
„Die Weltlage macht den Leuten Angst“, sagt Lorena Jenal. Sie seien überfordert von den Verunsicherungen des modernen Lebens, mit denen auch abgeschieden lebende Gemeinschaften immer mehr konfrontiert werden würden. „Wir haben Alkohol und Drogen, viel zu wenig Bildung, und es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit.“ Auch der Klimawandel wirke sich aus: „In den letzten sechs Wochen gab es vier Überschwemmungen, die sonst vielleicht nur einmal in zwei Jahren vorkommen.“
Hexenwahn verbreitet sich auch online
Die Ordensschwester ist überzeugt, dass der Hexenwahn in dieser Form eine neue Erscheinung ist. 2012 erlebte sie ihren ersten Fall. „Vorher gab es das nicht, meine ich. Es hat viel mit den Handys zu tun, mit Gewaltfilmen und Pornografie.“ Denn jeder gefolterten Frau werde sexuelle Gewalt vor hunderten Schaulustigen angetan – mit glühenden Buschmessern werde sie an den Brüsten und der Vulva verletzt. „Manche Frauen brauchen Hauttransplantationen“, berichtet Schwester Lorena. Sie seien geschunden – an Körper und an Seele. „Wir konnten 352 retten. Aber vielleicht sind doppelt so viele gestorben, wir wissen es nicht.“
Vor vier Jahren, 2021, hat sie in einem Schutzgebiet, das seit jeher von den Gemeinschaften Papua-Neugineas als solches respektiert wird, ein „house of hope“ gegründet. Das Haus soll den Opfern einen Rückzugsort bieten; hier werden die Frauen medizinisch und seelsorgerisch versorgt. „Wir wollen den Frauen ihre Würde, ihre Rechte und ihre Einmaligkeit zurückgeben“, sagt die Ordensschwester. Ärzte und psychologische Betreuer gehören zum Team vom „house of hope“, aber auch frühere Betroffene sind inzwischen Mitarbeiterinnen. „Vor sechs Jahren wurde eine von ihnen so schlimm gefoltert, dass wir nicht wussten, ob sie überleben wird. Sie ist jetzt eine unserer Besten“, berichtet Lorena Jenal.
Die Schwester hat sich in die Menschen vom südlichen Hochland in Papua-Neuginea verliebt, wie sie sagt. Nichts kann sie davon abbringen, sich weiter für den Schutz der Verfolgten dort zu engagieren. Dabei setzt sie immer wieder ihr eigenes Leben aufs Spiel. „Mir wurden schon Steine nachgeworfen und Messer an den Hals gehalten“, berichtet die 75-Jährige. Sie habe aber auch eine „große Auswahl vertrauter Männer“, die sie unterstützten, darunter etwa ein Polizist, dem sie einmal geholfen habe.
Bei ihrem Besuch bei Kölns Oberbürgermeisterin strahlt Schwester Lorena Henriette Reker an und nimmt sie fürs Foto fest in den Arm. Später drückt sie ihre Hände. „Sie ist eine richtige Menschenfängerin“, kommentiert Reker, sichtlich angetan von der Herzlichkeit der Schwester. „Ich bin ein Beziehungsmensch“, sagt diese über sich selbst. Auf Fotos, die das Hilfswerk missio zur Verfügung stellt, ist zu sehen, wie sie gefolterte Frauen in den Armen hält.
Die meisten als Hexen verfolgten Frauen seien nicht länger als zwei bis drei Monate im Schutzhaus, bevor sie in ihr Dorf zurückkehrten – manche aber auch bis zu einem Jahr. „Wir müssen sicher sein, dass ihnen nichts mehr passiert“, erklärt die 75-Jährige. Dafür sprechen sie und ihre Unterstützer mit dem Dorfgericht und anderen Menschen aus der Gemeinschaft, sie bereiten den Weg für die Rückkehr. Keiner der Täter sei bisher verurteilt worden, sagt Schwester Lorena.
Die Ordensschwester hofft, dass nach der Gewaltwelle nun eine Zeit der Entspannung kommen wird. Die vergangenen Monate haben sie erschüttert. Sie setzt außerdem darauf, dass ihre Aufklärungsarbeit in den Schulen vor Ort hilft. „Ich möchte weitermachen, so lange ich kann“, sagt sie bestimmt. Ein Leben im Kloster, das kommt für die Ordensfrau von der Gemeinschaft der Baldegger Franziskanerinnen nicht mehr in Frage. Auch wenn sie zwischendurch in der Schweiz neue Kraft für ihre Arbeit tanken muss. Ab Ende September ist sie wieder zurück im Hochland, bei den Menschen, denen sie ihr Leben verschrieben hat.

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